zu guter letzt gr





Erleuchtung – und dann?


Auf innere Transformation und Erleuchtung richten sich die Sehnsüchte der spirituellen Szene. Auch unser Kuratoriumsvorsitzender Lucius Werthmüller (Foto re.), Präsident des Basler Psi-Vereins (BPV), hegte sie einst. Warum sich dieses Ziel im Laufe der Zeit relativiert hat, erläuterte er kürzlich im BPV-Magazin „Psi-Info“.

lw”Vor kurzem fragte mich eine Zeitschriftenredaktion an, ob ich ein Interview zum Thema «spirituelle Durchbrüche» geben würde. Dies bot mir die Gelegenheit, mein eigenes Verhältnis zu Transformation und Erleuchtung zu klären.

Als ich in die spirituelle Szene kam, suchte ich nichts weniger als Erleuchtung. Im Laufe der Zeit hat sich das relativiert. Ich bin über die Jahre zu viel simpleren, banaleren Wünschen gekommen. Ich strebe nicht nach dem Absoluten, sondern bin glücklich, wenn ich etwas Sinnvolles tun kann, wenn ich mit meinem Wirken Menschen unterstützen oder ihnen neue Perspektiven eröffnen kann. Mein heutiges Credo lautet eher: Sucht nicht die Erleuchtung, während zuhause die Beziehung in die Brüche geht oder ihr die Bedürfnisse der Kinder nicht mehr wahrnehmt, denn mitten im Leben ist eine spirituelle Haltung angesagt.

Klar gibt es Momente, in denen ich eine Präsenz spüre oder Erfahrungen mache, die über die Alltagsrealität hinausweisen. Natürlich wollen wir mit unserer Arbeit Durchbrüche, Einsichten und Selbsterkenntnis ermöglichen. Je mehr Bereiche unseres Bewusstseins, je mehr Facetten unserer Persönlichkeit wir kennenlernen – sei es spontan, durch Kurse oder Techniken, die uns tiefere Ebenen unseres Selbst eröffnen – desto eher finden wir unseren eigenen Weg und unseren Platz im Leben.

Ich sehe es als wichtigen Teil der Aufgaben des BPV, einen Raum zu bieten, in dem dies möglich wird und der Menschen die Sicherheit gibt: «Ich darf meine eigenen tiefen und ungewöhnlichen Erfahrungen ernst nehmen, ich bin nicht krank und ich bin damit auch nicht allein». Die eigentliche Arbeit beginnt nach der Erfahrung des Außergewöhnlichen, nämlich die gewonnenen Einsichten in den Alltag zu integrieren. Gesunde Durchbrüche führen immer wieder zurück auf den Boden des Menschlichen.

Ramana Maharshi ist nach seinem Erleuchtungserlebnis viele Monate auf dem Boden im Tempel von Tiruvannamalai gelegen und hat sich um nichts Weltliches mehr gekümmert. Eckhart Tolle hat zwei Jahre kaum etwas getan außer auf einer Parkbank zu sitzen. Solch tiefe Transformationen brauchen Zeit sich zu entfalten – es kann Jahre dauern, bis ein solcher Mensch die Essenz des Erlebten weitergeben kann oder will, zumal sich die Erfahrung der Nicht-Dualität der sprachlichen Vermittlung entzieht. Erleuchtete leben nicht in einer konstanten Ekstase. Im Zen wird es so beschrieben: Zu Beginn des Weges ist alles normal, auf dem Weg machst Du paranormale und verrückte Erfahrungen. Nach dem Erwachen gilt: Nichts Besonderes – iss, wenn du hungrig bist, schlafe, wenn du müde bist. Nur der Wandel, der Durchbruch ist spektakulär. Sobald dieser integriert ist, wird er Teil der Alltagsrealität.

Ich bin von der Vorstellung abgerückt, dass spirituelle Lehrer alles Menschliche transzendieren. Das Absolute ist auf unserer Seinsebene nicht erreichbar. Es ist eine Grundbedingung unserer materiellen Realität, dass wir geprägt werden von der Zeit und den Umständen, in denen wir leben. Möglich ist jedoch eine Selbstermächtigung, die uns befähigt, unser eigenes Potenzial zu leben.

Beispielsweise kommen Kundinnen zu uns, die in Pflegeberufen tätig sind. Menschen zu pflegen, ist eine Aufgabe, die mir viel Respekt abverlangt. Als ‚erleuchteter‘, spiritueller oder heilender Mensch kannst du dein Leben in der entsprechenden Haltung führen. Eine Krankenpflegerin mit Heilkräften muss keine eigene Praxis eröffnen, um ihre Gaben einzusetzen. Wenn jemand solche Kräfte in sich spürt, ermutige ich ihn eher, diese in seinen Alltag zu integrieren. Die spirituelle Kraft dort fließen zu lassen, wo man steht, halte ich für mindestens so erstrebenswert wie das Ziel, ein großes Medium oder eine große Heilerin zu werden.”

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