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 Lesetipp Die Abschaffung des Normalen - Deutschland in der Psychofalle
Immer mehr Menschen mit Alltagsproblemen werden als psychisch krank abgestempelt; immer öfter werden gesellschaftliche Probleme wie Arbeitsbedingungen oder das Schulsystem zu Psychomacken Einzelner gemacht – zu Unrecht, findet der Medizinjournalist Jörg Blech. Sein neues Buch „Die Psychofalle“ zeigt auf, wie die Grenze zwischen „psychisch gesund“ und „gestört“ von Ärzten, Psychologen und Pharmafirmen zunehmend verschoben wird.
Müde und ausgebrannt? Anstrengende und aggressive Kinder? Zerstreut und vergesslich? “Immer mehr Menschen mit Alltagsproblemen werden als psychisch krank abgestempelt – zu Unrecht! Immer öfter werden gesellschaftliche Probleme wie Arbeitsbedingungen oder das Schulsystem zu Psychomacken Einzelner gemacht – zu Unrecht!”, meint der Bestsellerautor Jörg Blech. Er legt dar, wie die Grenze zwischen psychisch gesund und gestört von Ärzten, Psychologen und Pharmafirmen zunehmend verschoben wird, und zeigt einen Ausweg aus der Psychofalle. Sein provokanter Befund: „Wer Menschen seelische Störungen anhängt, kann viel Geld verdienen. Mediziner und pharmazeutische Firmen erschließen sich gegenwärtig einen riesigen Markt – bereits fünf Prozent der Menschen in Deutschland schlucken Tabletten gegen Depressionen; in jeder deutschen Grundschulklasse gilt mindestens ein Kind als psychisch krank. Ganz gleich ob Psychiater, Psychologe, Therapeut oder Coach: In der Helferindustrie arbeiten mehr Menschen als in der Automobilindustrie. Die Abschaffung des Normalen ist ein Megatrend, der unser aller Leben betrifft. Soziale Probleme werden in Handlungsmuster der Medizin übersetzt. In der Folge müssen Politiker, Firmenchefs, Lehrer und Eltern die Ursachen von Arbeitslosigkeit, Erschöpfung und Erziehungsproblemen nicht lösen. Unsere Gesellschaft übernimmt keine Verantwortung für äußere Missstände, sondern sie schickt die davon betroffenen Menschen auf die Couch. Am Ende ist das Individuum entmachtet. Abgestempelt zum Patienten mit labiler Seele, kann der Einzelne keinen Protest mehr gegen jene gesellschaftlichen Zustände organisieren, die ihn in die Psychofalle getrieben haben. Doch so weit muss es nicht kommen.“
Diagnose: unbedingt lesenswert.
Seit seinem Enthüllungsbuch ›Die Krankheitserfinder‹ hat sich Jörg Blech (Foto re.), Jahrgang 1966, als kritischer Medizinjournalist etabliert. Sein Buch hat viele Diskussionen in Gang gebracht, stand auf Platz 1 der Bestsellerliste und liegt in zwölf Sprachen vor. Jörg Blech hat sein Biologie-Diplom in Köln abgelegt und das Schreiben an der Henri-Nannen-Journalistenschule in Hamburg gelernt. Der Autor arbeitete lange im Ressort Wissen der ›Zeit‹ und ist seit 1999 Mitglied der SPIEGEL-Redaktion. Zuletzt erschienen von ihm ›Heillose Medizin‹ und ›Gene sind kein Schicksal‹.
288 Seiten, gebunden. 19,99 Euro S. Fischer Verlag: Frankfurt am Main 2014 ISBN 978-3-10-004419-8

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